Blockchainbasierte Lösungen für die Logistikbranche – Teil 2

Wie Blockchaintechnologien helfen können

Was können Blockchain-Technologien dazu beitragen, im Supply Chain Management Prozesse zu optimieren und Kosten zu senken? In Teil 1 meines Beitrags habe ich am Beispiel eines deutschen Handtaschen-Anbieters aufgezeigt, wie Wertschöpfungsbeteiligte bisher zusammenarbeiten, wie sie es künftig im Rahmen eines blockchainbasierten Workflows tun könnten, wie eine solche Lösung die Prozesse verbessern würde und welche Hardware- und Software-Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssten.

Heute betrachten wir am Beispiel des im letzten Beitrag vorgestellten Handtaschen-Anbieters einen solchen Wertschöpfungsprozess im Detail, bewerten ihn im Rahmen einer SWOT-Analyse – und ziehen ein Fazit, das nicht als theoretische Erkenntnis gemeint ist, sondern als klare Empfehlung, sich mit den Möglichkeiten der neuen Technologien auseinanderzusetzen und die eigenen Prozesse hinsichtlich ihrer Zukunftsfähigkeit abzuklopfen.

6. Anwendung

Schauen wir uns doch einmal an, wie die blockchainbasierte Abwicklung von Beschaffungs- und Logistikprozessen idealerweise aussehen müsste. Das Prinzip ist im letzten Beitrag hoffentlich klar geworden: Durch die Ausstattung der Rohstoffe und Waren mit RFID-Chips entstehen sozusagen digitale Zwillinge, deren Herkunft, Zustand und Aufenthaltsort lückenlos verfolgt werden kann. Auf diese Weise sehen alle Beteiligten, ob die Ware plangemäß den Verfügungsberechtigten wechselt oder aber abhandengekommen ist, weil sie nicht zum geplanten Zeitpunkt die nächste Station der Lieferkette erreicht.

Spediteure, Reedereien und Zollagenten können den RFID-Chip scannen und anschließend im System vermerken, ob Waren und Verpackungen in ordnungsgemäßem Zustand sind und dass der nächste Empfänger seine Ware erhalten hat. Diese Informationen braucht das System, um anhand der Smart Contracts je nach vereinbarter Handelsklauseln (Incoterms) zu erkennen, was als Nächstes passieren muss.

Voraussetzung dafür ist, dass alle Beteiligten mit Sensoren ausgestattet und verifizierte, autorisierte Netzwerkteilnehmer sind, sodass die Waren bei jedem Übergang zwischen den Gliedern der Wertschöpfungskette erfasst werden können.

Alle Transportdokumente liegen ausnahmslos digital vor, damit sie bei der Übergabe an den nächsten Verfügungsberechtigten digital über eine Blockchain-Anwendung (DApp) signiert und bestätigt werden können. Dadurch lässt sich ein ganzer Aktenberg in die Blockchain auslagern, unter anderem folgende Dokumente:

  • Bill of Landing (B/L)
  • Ausfuhrbegleitdokument (ABD) mit Movement Reference Number (MRN)
  • direkte Freigutverzollung bei Ankunft in Deutschland
  • Handelsrechnung
  • Ursprungszeugnis
  • Carnet TIR/ATA
  • Frachtbrief

Prozess am Beispiel der Handtaschen

  1. Der Hersteller erhält eine Lieferung Rohmaterialien. Der Smart Contract stößt automatisch eine vorher definierte Aktion an: Initiiere die Bezahlung des Rohstofflieferanten durch den Hersteller.
  1. Nach der erfolgreichen Fertigung wird in jede Handtasche ein eigener IoT-Chip mit RFID-Funktionalität eingenäht. Meldung an die Blockchain, dass das Produkt hergestellt wurde.
  1. Die fertigen Handtaschen werden auf einer Palette gebündelt. Diese Transporteinheit erhält ebenfalls ein RFID-Tag. Nachricht an den Transporteur, dass die Ware versandbereit ist.
  1. Die versandbereite Handtaschen-Palette wird für den Transport auf einen Lkw verladen, zum „benannten Abgangshafen“ gefahren, dort wieder entladen, vom Zoll kontrolliert und bei der Reederei mit anderen Sendungen im Container verstaut. Jede dieser Stationen wird von Sensoren am Lkw und an den Laderampen erfasst und in der Blockchain hinterlegt, sodass jeder Beteiligte weiß, wo sich die Taschen gerade befinden. Initiiere die Bezahlung des Spediteurs durch den Hersteller.
  1. Die zuständige Zollbehörde hatte bei der Warenbeschau nichts zu beanstanden. Weil sie ins Blockchain-System eingebunden ist, bestätigt sie die Richtigkeit der Warensendung digital. Initiiere die Bezahlung der Zollbehörde durch den Hersteller.
  1. Der gestaute Container wird auf das Frachtschiff verladen. Initiiere die Bezahlung der Reederei für Stauung und Beladung durch den Hersteller.
  1. Gemäß Incoterms FOB übernimmt der Käufer, der beauftragende Einzelhändler, ab hier Kosten und Risiken. Ist alles einwandfrei, initiiere die Bezahlung des Herstellers durch den Käufer.
  1. Nach der Überfahrt erreicht das Frachtschiff den Empfangshafen. Initiiere die Bezahlung des Seefrachtspediteurs durch den Käufer.
  1. Der Container wird vom Schiff zum Hafenspediteur gebracht und dort entladen. Initiiere die Bezahlung des Hafenspediteurs durch den Käufer.
  1. Der Straßenspediteur holt die Palette mit den Handtaschen ab und bringt sie zum Einzelhändler. Initiiere die Bezahlung des Spediteurs durch den Käufer.
  1. Der Einzelhändler nimmt die Ware entgegen und räumt sie in die Regale ein. Speichere die Bestätigung, dass der Käufer die Ware erhalten hat.
  1. Endkunden, die die Handtaschen erwerben, können mit einem geeigneten Smartphone den eingenähten RFID-Chip oder einen QR-Code auf einem Etikett scannen und alle vom Einzelhändler freigegebenen Informationen über den Fertigungszyklus der Handtasche nachvollziehen.

7. Vorteile

Transparenz, Vereinfachung, Automatisierung, Sicherheit: Es bringt viele Vorteile, den Wertschöpfungsprozess digital in der Blockchain abzubilden.

Daten- und Produktauthentizität

  • Fälschungssicherheit
  • Vollautomatischer und sicherer Abwicklungsprozess, dem man leichter vertrauen kann als unbekannten Handelspartnern.

Optimiertes Management

  • Senkung von Kosten und Aufwand durch automatisierte Administration des Warenaustauschs mittels Smart Contracts
  • direkte Bezahlung der Teilnehmer nach Leistungserbringung
  • Warenverluste können zeitnah identifiziert werden
  • Qualität und Transparenz
  • Verwaltung und Beseitigung der Fälschungen von Zertifikaten, Lizenzen und anderen wichtigen Dokumenten

Risikominimierung durch optimiertes Management

  • Transparenz gegenüber Kunden
  • Minimierung von Fehlerrisiken
  • Verhinderung von Produktfälschungen
  • Minimierung des Risikos gefälschter Begleitpapiere

Qualitätssteigerung durch optimiertes Management

  • Qualitätssicherung
  • Senkung des Papierbedarfs
  • durchgängige Auskunftsfähigkeit über den Stand der Supply Chain
  • beschleunigte Zollabwicklung durch sofort bereitstehende Dokumente
  • Möglichkeit des Angebots digitaler Services für Kunden wie Ablieferbeleg-Download und Informationen zu Produktionsfortschritten und Warenstandort
  • Verbrauchersicherheit durch fälschungssichere Produkte
  • Verbraucher können jederzeit auf Echtheitsnachweise von Luxusgütern und die Produkthistorie vom Rohstoff über die Verkaufsstelle bis zum Gebrauchtmarkt zugreifen

Kosteneinsparung durch optimiertes Management

  • reduzierte Bearbeitungszeiten
  • reduzierte Personalkosten
  • reduzierte Dokumenten-Bearbeitungszeiten
  • reduziertes Risiko gefälschter Begleitpapiere

8. SWOT-Analyse

Neben den unbestrittenen Stärken der Blockchain-Technologie und den Chancen, die sie für die Wertschöpfung eröffnet, gilt es auch, ihre Schwächen und Risiken zu beleuchten, um ihren Wert als Tool für die Industrie der Zukunft realistisch bewerten zu können.

Stärken

  • authentisch
  • manipulationssicher
  • dezentrale Speicherung
  • ausfallsicher
  • individuell anpassbare DApps
  • solide Vertrauensbasis dank verlässlicher Technologie
  • gleicher Informationsstand aller Teilnehmer zu jeder Zeit
  • uneingeschränkte Transparenz für alle Netzwerkteilnehmer

Schwächen

  • Personalabbau durch effizientere Prozesse
  • kein Schutz gegen fehlerhaft eingegebene Daten
  • Abhängigkeit von Technik und ihrer korrekten Bedienung durch die Partner – ohne Strom und Internetzugang nützen die Sensoren vor Ort nichts

Chancen

  • Die Blockchain ist der Zugang zum Zeitalter des Internets der Dinge. Sie kann die Industrie 4.0 ermöglichen, in der irgendwann einmal alle Prozesse autonom ablaufen – auch Finanzflüsse. Voraussetzung dafür sind autonome Verträge innerhalb der Blockchain, die Smart Contracts.
  • Irgendwann werden Kunden nur noch Produkte mit transparent nachvollziehbarem Herstellungsprozess kaufen und damit die Industrie zwingen, für das komplexe Zusammenspiel von Material-, Informations- und Finanzflüssen auf Blockchain-Technologie zu setzen.
  • Die Blockchain kann Manipulation erschweren und damit zum Beispiel Schmuggel verhindern. Dabei helfen in Echtzeit verfolgbare Versanddaten, Genehmigungen und Frachtpapiere, aber zum Beispiel auch Sensordaten der Container zu Temperatur und Gewicht.
  • Bislang wird beinahe ein Fünftel der Gesamtkosten des Welthandels durch Verwaltung und Dokumentation verursacht. Die Blockchain kann diese Kosten durch den Wegfall der Papierdokumentationen und die dadurch beschleunigte Überprüfbarkeit von Verschiffungs- und Verladedaten signifikant senken.
  • Die Blockchain hilft Unternehmen, sich als zukunftssichere Innovatoren zu positionieren.
  • Durch Echtheitszertifikate in der Blockchain kennen Hersteller die Herkunft der erhaltenen Rohstoffe und können damit Fälschungen verhindern.
  • Die transparenteren Wertschöpfungsprozesse erschweren Betrug und können so Wirtschaftskriminalität reduzieren, die Produktqualität erhöhen und Vertrauen schaffen.
  • Die Blockchain kann Arbeitsprozesse rationalisieren und unnötige Redundanzen vermeiden helfen.

Risiken

  • juristische Barrieren
  • politische Barrieren durch Staatenlenker, die von Lücken in bisherigen Systemen profitieren
  • Anfälligkeit für technologische Fehler
  • institutionelle Anpassungsbarrieren

9. Fazit

Noch steckt die Blockchain-Technologie in einem frühen Entwicklungsstadium – genau wie ihre globale Akzeptanz im Logistiksektor. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um die eigene Investitionsbereitschaft zu prüfen und mögliche Schattenseiten abzuklopfen: Wie lassen sich die Arbeitsplätze ersetzen, die durch blockchainoptimierte Prozesse wegfallen? Welche Lösung gibt es für falsch eingegebene Daten, die sich in der manipulationssicheren Blockchain-Datenablage nicht mehr ändern lassen?

Diese Herausforderungen wiegen aber wenig im Vergleich zu den enormen Vorteilen, die Blockchain-Technologien für die Supply Chain mitbringen. Die Blockchain hat das Potenzial, die Logistik deutlich weitgreifender zu ändern, als es die bisherigen Digitalisierungsanstrengungen getan haben. Bereits heute setzen Vorreiter wie Kühne und Nagel, DB Schenker und DHL auf Blockchain-Lösungen und bringen sich damit für die Zukunft in Stellung.

Der Einsatz der Blockchain lohnt sich überall dort, wo ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den einzelnen Akteuren erforderlich ist. Als Katalysator für Automatisierung und Digitalisierung ist sie in der Lage, den internationalen Warenaustausch dramatisch zu optimieren. Das steht und fällt jedoch mit dem Vertrauen aller Beteiligten in diese Technologie – von der gesetzgebenden Politik über die Industrie bis zum Endkunden.

Die Blockchain-Technologie bietet nicht nur die Möglichkeit, viele Aspekte der bisherigen Wertschöpfungsketten wie die Sicherheit der Datenspeicherung und die Transparenz und Geschwindigkeit der Datenflüsse zu verbessern. Sondern könnte über Nacht zum Game Changer werden, der komplette Geschäftsmodelle ablöst. Die Frage ist also nicht, ob man die Blockchain nutzen sollte, sondern eher, wie schnell man mit ihrer Einführung beginnen sollte.

Die Blockchain steckt noch mitten in ihrer Entwicklung – so wie das Internet in den 90er-Jahren. Das Internet ist heute nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Der Blockchain wird es aller Wahrscheinlichkeit nach ähnlich ergehen.

Bild: © Andrey Apoev – stock.adobe.com

 

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Sascha Lang

Sascha Lang

Leitung Vertrieb / Marketing

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